Sie sehen: Das Grübchen
Diminutive, also Verniedlichungsformen, sind immer mit Vorsicht zu genießen.
Nicht selten entspringen sie einem Wort, dessen Ursinn eher negativer Art ist. Andernfalls hätte es wohl gar nicht erst einer Verniedlichung bedurft.
Märchen, Rädchen, Brötchen, Kaninchen...
Eine Mär war eine meist tragische Erzählung des Mittelalters, das Rad war eine populäre Methode der Todesfolter, Brot macht dick und Kaninchen - nun, das Kanin muss ein gar furchtbares Lebewesen sein, dass niemand es wagt, darüber zu sprechen.
Und Gruben waren niemals ein Ort positiver Ereignisse. In Gruben wurde man versenkt, verschüttet, arbeitslos, oder musste sich in Kinderspielchen als Häschen darin verstecken.
Dennoch haftet dem Grübchen, jener seltsamen Wortschöpfung, allein positives an. Grübchen sind das Körperpendant zu Parfait: Jeder mag sie. Manche Grübchen werden legendär, etwa Roy Blacks Kinnspalter.
Gesichtsgrübchen, die wohl auffälligsten Vertreter der Spezies, verleihen jedem Lächeln den Sahneguss. Gäbe es Wettbewerbe um das schönste Lächeln, der Gewinner würde grundsätzlich zwischen zwei Grübchen erstrahlen.
Und Lendengrübchen, jene klassischen und zeitlosen Symbole weiblicher Sinnlichkeit, die mehr Maler inspiriert haben als alle Blumenwiesen dieser Welt - ihr Anblick allein ist anregender und beflügelnder als jedes Aphrodisiakum.
Doch was für ein Wort ist das? "Grübchen"?
Wie klein muss eine Grube sein, dass "Grübchen" gerechtfertigt ist? Und sind Grübchen überhaupt Gruben? Zeichnen sich Gruben nicht eher durch Tiefe aus? Durch scharf absinkende Wände? Sind Grübchen nicht eher winzige Kuhlen? Kleine Mulden?
Aber wie unsanft klängen "Kühlchen" oder "Muldchen". Viel zu nah lägen sie an "Kühchen", "Küchen", an "Muttchen" oder "Molche".
Kehlig und aus dem hintersten Rachen tröffe das Kuhlchen heraus, unsanft, unromantisch, eher an Würgelaute und Gurgeln erinnernd. Und wie scharf und spitz stieße das "Muldchen" heraus, mit seinem spitzen 'D' und dem 'Ch', das hier nahezu zum scharfen 'Sch' würde.
Kuhlchen und Muldchen wären eher Namen für die bösen Zwerge im Märchen, die Diebe im Astrid Lindgren Roman oder magische Waffen einer Rittergeschichte.
Doch Grübchen steht allein. Keine ungewollte Assoziation stört das Bild. Sein reiner Klang, vom sanften, gehauchten 'G' über das rollende 'R', zum weichen 'B' und in einem sanften Bogen das 'chen' hinabsinkend führt es uns in eine Welt der Schönheit, der Weichheit, der Güte und Sinnlichkeit.
Das Grübchen steht sanft und zahm im Wald der Sprache, sein Umlaut lässt es glitzernd und funkelnd erstrahlen in jedem Text, lässt seinen Wohlklang über uns sinken und Bilder von schön lächelnden Menschen und weiblichen Aktportraits emporkommen.
Nichts hat es mehr vom scharfen Klang und finsteren Bild der Grube, der es entspringt.
Das Grübchen feiert seinen Triumph im Diminutiv. Indem es dem garstigen Wort der Grube Anmut, Stil und Reiz verleiht, sie, hässlich und missmutig, überflügelt und einzigartig, eigenständig wird. Ein seltsames, schönes Wort ist das Grübchen, dessen Herkunft hinter ihm selbst verborgen liegt, und verborgen bleibt.
Menschen wären weniger schön ohne Grübchen, und die Sprache weniger rein, weniger anmutig ohne dieses seltsame Wort, das soviele Bilder in uns weckt, und doch so gar nicht zum Rest der Sprache zu passen scheint, weil seine Wurzel, die es offen in sich trägt, für uns unsichtbar geworden ist im Laufe der Zeit.
Randbemerkung:
Natürlich existiert kein Kanin. Aber Kaninchen, das an sich gar kein richtiger Diminutiv ist, leitet sich vom lateinischen Wort für Höhle oder Gang ab. Und wie finster ist dies erst?
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2 Kommentare:
Lendengrübchen - selten ein schmeichelhafteres Wort für Orangenhaut gehört... hehehe...
Warum bekommt man vom Grübeln keine Grübchen?
Hmm - vielleicht, weil man vom grübeln eher Gräbchen bekommt?
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